Pressegespräch am 5. April 2019 in Berlin

Chancen und Risiken der Demenzvorhersage: Wo besteht politischer Handlungsbedarf?

Vorstellung der Ergebnisse eines bundesweiten zivilgesellschaftlichen Diskurses und Statements führender Demenzexpertinnen und Demenzexperten

Bei einem Pressegespräch am 5. April 2019 in Berlin wurde das zentrale Projektergebnis — die gemeinsame Stellungnahme 24 betroffener und verantwortlicher Verbände, Institutionen und Organisationen in Deutschland — von der Projektleitung Prof. Dr. Silke Schicktanz und apl. Prof. Scott Stock Gissendanner öffentlich präsentiert. Um die Ergebnisse zu kommentieren und deren Tragweite zu verdeutlichen referierten unter sympathischer Moderation von Antje Hoppe, Chefredakteurin des Portals gerechte-gesundheit.de der Presseagentur Gesundheit:

Prof. Dr. Stefan Teipel
Leiter der Klinischen Forschung am Standort Rostock/Greifswald,
Gruppenleiter und stv. Standortsprecher
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Rostock/Greifswald

Sabine Jansen
Co-Vorsitzende der Steuerungsgruppe der Nationalen Demenzstrategie;
Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz

Prof. Dr. Andreas Kruse
Vorsitzender der Altenberichtskommission der Bundesregierung;
Leiter des Instituts für Gerontologie, Universität Heidelberg;
Mitglied im Deutschen Ethikrat

Die Referentin und die Referenten schätzen die Projektergebnisse als sehr positiv und das Projekt damit als Erfolg ein.

Zunächst beleuchtete Prof. Dr. Stefan Teipel die Chancen und Risiken früher Prognosen: „In der heutigen Versorgungsrealität werden manifeste Demenzerkrankungen in über 50 Prozent der Fälle spät oder gar nicht erkannt. Dies nimmt den Betroffenen und ihren Familien die Chance, besser mit der Erkrankung umzugehen und medikamentöse Behandlung und individuelle Beratung und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig stehen heute schon biologische Marker zur Verfügung, die eine Alzheimer Krankheit bereits vor Auftreten von Demenzbeschwerden nachweisen können. Die prognostische Aussagekraft dieser Marker für die spätere Entwicklung einer Demenz ist derzeit allerdings nicht ausreichend, um ein individuelles Screening von kognitiv unbeeinträchtigten Personen zu rechtfertigen. Diese Einschränkung sollte bei der Beratung von Personen, die eine prognostische Untersuchung wünschen, unbedingt beachtet werden.“

Sabine Jansen ging auf die Rolle der Pflichtberatung ein. Auf der einen Seite könnten die Chancen einer Demenzvorhersage z. B. eine mögliche geänderte Lebensplanung, mögliche Vorausverfügungen oder eine Änderung des Lebensstils beinhalten. Auf der anderen Seite könnten Risiken einer Demenzvorhersage eine Gefahr des Auftretens von Ängsten, Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken zur Folge haben. Außerdem sind die Unsicherheit der Testgenauigkeit, die Ungewissheit über den Zeitpunkt des Eintretens einer möglichen Erkrankung sowie eine mögliche Stigmatisierung zu berücksichtigen. Auch Angehörige könnten durch eine Demenzvorhersage mitbetroffen sein. Daher sollte keinesfalls Druck zur Testung ausgeübt werden. Es bedarf einer guten Pflichtberatung vor der Entscheidung über einen solchen Test mit Hinweisen auf (Un)genauigkeit der Tests und mögliche Folgen sowie einer Begleitung nach einem positiven Test. Für die Zukunft besteht die Notwendigkeit der Bereitstellung von weitreichenden Informationen für Betroffene und deren Angehörige.

Prof. Dr. Andreas Kruse betonte abschließend den Stellenwert der Selbstbestimmung des Individuums: „Auf das Individuum darf selbst dann, wenn eine Symptomatik vorliegen sollte, die auf eine spätere Alzheimer-Demenz deuten könnte, keinerlei Zwang zur Teilnahme an einer prädiktiven Diagnostik ausgeübt werden. In dem unbedingten Respekt vor der Selbstbestimmung (und damit Entscheidungsfreiheit) des Individuums zeigt sich auch der unbedingte Respekt vor dessen Würde. Allerdings ist alles dafür zu tun, dass das Individuum die Perspektive seiner engsten Bezugspersonen in seinem Entscheidungsprozess ausdrücklich mitberücksichtigt.“

Nachfolgend finden Sie die Unterlagen der Pressemappe: